Die römische Religion

Carmenta
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Die römische Religion

Beitrag von Carmenta »

Da ich im Prinzip eher faul bin, poste ich hier in Abschnitten den Wortlaut eines Referats, das ich 2015 in einem Seminar an der Uni Frankfurt gehalten habe:

1. Vorstellung und Begründung des Themas
Meine Ausführungen befassen sich mit einem wissenschaftlichen Phänomen, das in der vergleichenden Religionswissenschaft bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts weitgehend unhinterfragt blieb und in populärwissenschaftlichen Darstellungen bis heute zu finden ist:

Will man wissen, wer die Götter und Göttinnen der Römer waren, trifft man auf ein erstaunliches Phänomen: Dargestellt werden in der Literatur nicht die römischen Götter, sondern ihre griechischen sogenannten Äquivalente. Dies findet man in Bezug auf keine andere antike Religion in dieser Weise: Bei ägyptischen Göttern erhält man die ägyptische Mythologie, bei sumerischen das Pantheon der Sumerer, bei germanischen Göttern wird meist die
isländische Edda herangezogen. Selbst bei indianischen und afrikanischen Gottheiten findet man ihre Beschreibung im Zusammenhang der jeweiligen Religion. Nur bei den römischen nicht. Hier wird selbst im universitären Bereich noch immer die „gleichzusetzende“ griechische Gottheit genannt und die römische anhand der griechischen Mythologie definiert.

Da es nicht denkbar ist, dass die Römer, die ein Weltreich aufgebaut haben und deren Kultur in vielen Bereichen bis heute für uns maßgeblich ist, keine eigenen religiösen Vorstellungen hatten, hier der Versuch, zunächst die Problematik der traditionellen Auffassungen zu erläutern und dieser anschließend den aktuellen Forschungsstand in Bezug auf die römische Religion gegenüber zu stellen.
Das römische Reich zur Zeit seiner größten Ausdehnung (Wikimedia Commons)
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André
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Re: Die römische Religion

Beitrag von André »

Ein suuuuuuuper Thema! Bin gespannt was folgt
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Re: Die römische Religion

Beitrag von Carmenta »

Verbreitete Fehlvorstellungen
1. Rom wurde zu einer bestimmten Zeit von bestimmten Personen gegründet
Es gibt in Hauptsache zwei Legenden, wie Rom gegründet worden sei, beide mehr oder weniger erfunden 500 Jahre nach der Entstehung der Stadt:
  • Dionysios von Halikarnassos erzählt, dass Aeneas nach dem Fall von Troja nach Italien ging, wo Rom von seinen Nachkommen gegründet wurde. Die Intention ist dabei, Rom als eine Siedlung Groß-Griechenlands, eine der griechischen Kolonialstädte rund ums Mittelmeer darzustellen.
  • Cato, dem Sallust und Livius folgten, erzählt die bekannte Geschichte von Romulus und Remus, weitgehend ein Plagiat des Gründungsmythos der griechischen Stadt Theben. Hier bildete wohl der Wunsch nach einer eigenen Entstehungsgeschichte, mit der Römer sich identifizieren konnten, die Motivation für die Erzählung. Dass sie nachträglich erfunden wurde, zeigt schon die Tatsache, dass die Stelle, an der Romulus angeblich seine
    erste Ackerfurche zur Markierung der Stadtgrenze gezogen haben soll, zu jener Zeit ein felsiger Abhang war, der gar nicht gepflügt werden konnte – hier wurde ein viel später geübter etruskischer Brauch übernommen.
Um die römische Religion zu verstehen, muss man aber die tatsächliche Entstehungsgeschichte der Stadt berücksichtigen, die insbesondere durch Ausgrabungen und archäologische Forschungen der letzten Jahrzehnte aufgedeckt wurde.
Die „Römer“ sind kein Volk im ethnischen Sinn. Sie entstanden als multikulturelles Gemisch aus Menschen italischen, griechischen und phönizischen Ursprungs. Dort, wo die spätere Stadt lag, befand sich eine viel begangene Furt durch den Tiber, eine wichtige Etappe auf dem Weg vom Meer nach Mittelitalien insbesondere für Salzkarawanen. Da der Untergrund sumpfig war, gab es dauerhafte Siedlungen nur auf den Kuppen der Hügel rundum.
Diese Hügeldörfer wurden von Menschen unterschiedlicher Stammeszugehörigkeit bewohnt, auf dem Palatin sollen es Latiner und auf denHügeln Esquilin, Viminal und Quirinal Sabiner gewesen sein. Es wird vermutet, dass es auch Siedlungen der zu den Oskern gehörenden Lulaner und Hirpiner gegeben hat, denn das Totemtier dieser Stämme soll der Wolf gewesen sein, der im später erdichteten Gründungsmythos der Stadt eine wichtige Rolle spielt. Der Kapitol soll von mehreren Dörfern als Begräbnisstätte genutzt worden sein.
Goos, Götter am Himmel, S. 3f
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Italie_-800.png
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Re: Die römische Religion

Beitrag von Carmenta »

[Weiter: Enststehung der Stadt Rom]
Im römischen „Palatinmuseum“ kann man die Rekonstruktion einer solchen Hüttensiedlung aus dem 8. Jhd. v. Chr. als Modell besichtigen.
Es gibt davon Bilder im Netz, sie sind aber nicht gemeinfrei.

Die Städte des Hinterlands, vor allem die etruskischen, ließen fremde Händler nicht in ihre Mauern, deshalb entstand im Tiberbogen ein „internationaler“ Handelsplatz, der als FORUM BOARIUM bis in die imperiale Zeit weiterlebte. Hier stand auch die älteste Opferstätte, die ARA MAXIMA, an der sowohl der Beschützer der Handelskarawanen Hercules, als auch Mater Matuta verehrt wurden.
Auf diesem Bild (Quelle: Wikipedia) ist die Tiberfurt rot markiert. An den eingezeichneten Straßen (Via Salaria und Via Sacra) ist die zentrale
Lage des Handelsplatzes gut zu erkennen.
Ausschnitt einer Karte der späteren Stadt Rom in der Mitte des 8. Jhd. v. Chr.
Ausschnitt einer Karte der späteren Stadt Rom in der Mitte des 8. Jhd. v. Chr.
Die Bewohner der Hügeldörfer unterschiedlicher ethnischer (italischer) Herkunft, Händler von überall aus dem Mittelmeerraum, Etrusker von
Städten im Norden und aus den Nachbarschaft zugewanderte Latiner bildeten das „Volk“ der Stadt Rom, die also von Anfang an als Begegnungsstätte, wenn nicht Schmelztiegel vieler verschiedener Kulturen anzusehen ist. Jede brachte ihre Gottheiten mit und alle zusammen bildeten den römischen Götterhimmel. Dies spiegelt sich in den wichtigen Sakralbauten: Der große Tempel auf dem Kapitol war dreizellig und den Göttern Jupiter (latinisch), Minerva (sabinisch) und Juno (etruskisch) geweiht. Trotz des gemeinsamen Tempels wurde aber jede dieser Gottheiten getrennt verehrt.
K-Wölfin.jpg
Am 22. Juni 2013 meldete die römische Tageszeitung „Corriere della Sera“, was in der Fachwelt bereits lange vermutet worden war: Die sogenannte „Capitolinische Wölfin“ ist nach Radiokarbon-Untersuchungen der italienischen Universität Salento keine etruskische Bronze, sondern stammt aus einer mittelalterlichen Fälscherwerkstatt des 11.-12. Jahrhunderts.
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André
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Re: Die römische Religion

Beitrag von André »

Erstmal vielen Dank das Du uns an dem tollen Vortrag teilhaben lässt. Juno etc waren mir durchaus ein Begriff! Aber wieso war über die römischen Gottheiten so wenig bekannt? Bzw kann man davon ausgehen das willkürlich Tempelanlagen und Statuen zerstört wurden?
Was ich weiß ist, dass unter Konstantin vieles was an die Alte Religion erinnerte , vernichtet wurde. Aber das war weitaus später.

Mit der Fälschung ist auch der Hammer! Wusste ich auch nur, da ich zufällig darüber einen Artikel fand.
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Re: Die römische Religion

Beitrag von Carmenta »

Weiter mit verbreiteten Fehlvorstellungen . . .
2. Die Römer haben den griechischen Götterhimmel mit lateinischen Namen übernommen

Ein Blick auf die zeitlichen Abläufe macht deutlich, dass dies nicht so gewesen sein kann. Archäologische Untersuchungen haben ergeben, dass die Hügeldörfer, aus denen später die Stadt Rom entstand, bereits seit der Bronzezeit bestanden, die für Italien bis etwa 1200 v. Chr. datiert wird. Die Gründung der griechischen Städte in Italien lag jedoch zwischen 850 und 600 v. Chr., also viel später. Es ist also völlig unwahrscheinlich, dass die italischen Völker ihre Götter "verlassen" und neue von den Bewohnern griechischer Kolonialstädte übernommen haben.

Die Blütezeit Athens, aus der die meiste griechische Literatur stammt, lag zur Zeit der frühen römischen Republik, als die Stadt Rom bereits einige Jahrhunderte alt war. Tatsächlich fand der stärkste kulturelle Zufluss aus Griechenland nach Rom im Anschluss an die Eroberung Griechenlands, Mazedoniens und Syriens statt (200–133 v. Chr.), bei deren Plünderungen auch viele Bücher nach Rom gelangten. Das alles geschah, als sich eine eigene römische Religion längst etabliert hatte.

Wie aber kam es zu der Idee, die Römer hätten keine eigenen Götter gehabt? Das Missverständnis beruht wohl auf der antiken Sitte, fremde Götter mit den Namen (vermeintlich) vergleichbarer eigener zu bezeichnen. Herodot z. B. gebraucht für die Gottheiten des ägyptischen Pantheons griechische Namen (INTERPRETATIO GRAECA). In gleicher Art und Weise verwendeten römische Schriftsteller eigene Namen für Götter und Göttinnen, als sie die griechischen Mythen ins Lateinische übersetzten (INTERPRETATIO ROMANA). Jahrhunderte später wurden nach der gleichen Methode germanische Götternamen für die Tage der Woche eingesetzt:
DIES LUNAE ⇒ Luna=Mondgöttin ⇒ germanisch Mani ⇒ Mondtag
DIES MARTI ⇒ Mars=Kriegsgott ⇒ germanisch (sächsisch) Tiu ⇒ Dienstag
DIES IOVI ⇒ Jupiter=Oberster Gott ⇒ germanisch Donar ⇒ Donnerstag
DIES VENERIS ⇒ Venus=Liebesgöttin ⇒ germanisch Freya ⇒ Freitag

Aber der Gebrauch dieser Namen hatte nichts mit der Alltagsreligion zu tun; es ist sogar eine Streitfrage, ob es sich bei solchen Gleichsetzungen tatsächlich um die gleichen Gottheiten handelt. Begründete Zweifel liefert das folgende Beispiel:
Fred und Fritz
Die beiden Namen Fritz und Fred hängen beide zusammen mit Friedrich und kommen etymologisch von fridu und rihi. Das bedeutet so etwa „Herrscher, der den Frieden handhabt und schützt gegen Waffengewalt“ –
Fritz wohnt im Allgäu und Fred in der Pfalz: Sie sind gleich alt und sehen aus, als ob sie Zwillinge wären. Sie haben beide ihr Abitur mit 2 bestanden und arbeiten seitdem als Bankdirektoren. Sie sind verheiratet, haben zwei Kinder, deren Mütter feurige rote Haare haben. Beide sind evangelisch, gehen aber sonntags nicht zur Kirche. Vielleicht auch, weil sie an den Wochenenden gerne auf Trödelmärkten nach alten Büchern suchen. In ihrer Freizeit tragen sie gern schwarze Kleidung und hören dann laute Metal-Musik. An Arbeitstagen fahren sie in ihrem dunkelblauen Dienstwagen um die 20 km zur Arbeit.
Dennoch ist der Allgäuer nicht identisch mit dem Pfälzer, sie kennen einander auch gar nicht.
(GardenStone, Der Merkur-Wodan-Komplex, S. 154)
Zitiert mit Genehmigung des Autors.
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Re: Die römische Religion

Beitrag von Carmenta »

Weiter mit verbreiteten Fehlvorstellungen . . .
3. Römische Götter und Göttinnen waren miteinander verwandt oder verheiratet und sahen wie Menschen aus.
Bereits aus der Entstehungsgeschichte Roms wird deutlich, dass die verschiedenen Gottheiten, die jede Volksgruppe mitbrachte, zuvor gar nichts miteinander zu tun hatten, geschweige denn aus einer Verwandtschaft stammten. Ihre Aufnahme in die römische „Staatsreligion“ erfolgte aus politischen Gründen, um sich der Unterstützung ihrer Anhänger zu versichern.
Religion war in Rom eine grundsätzliche Haltung; jeder lebte in ihr und es war unnötig darüber zu sprechen oder gar ein Buch darüber zu schreiben. So gibt es nur wenige Originalquellen. Die wichtigsten sind die beiden Abhandlungen von Cicero „Vom Wesen der Götter“ (DE NATURA DEORUM) und „Über die Weissagung“ (DE DIVITIATIONE). Aber diese wurden von Religionswissenschaftlern früherer Jahrhunderte weniger beachtet, wohl weil ihr Inhalt nicht in das von griechischen Vorstellungen bestimmte Bild antiker Pantheons passte. Die "Beschreibungen" der Kirchenväter, die z.B. durch Schilderung der Saturnalien beweisen wollten, wie unsittlich das Heidentum im Verhältnis zum Christentum war, sind nur mit äußerster Vorsicht als Quellen brauchbar.
Sowohl Cicero als auch Cato (in seiner Abhandlung über das richtige Führen eines Landgutes mit allen nötigen Opferzeremonien) schreiben, dass das Aufstellen von Götterstandbildern ursprünglich kein römischer Brauch war, sondern erst vom „etruskischen“ König Lucius Tarquinius Priscus eingeführt worden sei. Tatsache ist, dass römische Götterstatuen bis zur Zeitenwende von etruskischen Handwerkern bzw. nach deren Vorbild gefertigt wurden. Archäologische Untersuchungen haben tatsächlich erbracht, dass es bis zum 7. Jahrhundert v. Chr. keine bildlichen Darstellungen von Gottheiten in Italien gab (bis zur Einwanderung der Etrusker).

Auch wenn das Originalwerk ANTIQUITATES RERUM HUMANARUM ET DIVINARUM (Altertümer menschlicher und göttlicher Einrichtungen) des römischen Schriftsteller Terentius Varro (116–27 v. Chr.) nicht mehr erhalten ist, so gibt es aus Zitaten immer noch seine Einteilung in die Religion der Dichter, die der Philosophen und die des Volkes. Das, was von Gustav Schwab und bis ins 20. Jahrhundert teilweise auch von Religionswissenschaftlern dargestellt wurde, ist die „Religion der Dichter“.

Nach den Mazedonienkriegen (146 v. Chr.) wurde die griechische Mythologie besonders bei der gebildeten Oberschicht sehr populär in Rom, da es dort nichts eigenes Vergleichbares gab. Schriftsteller und Dichter profitierten von dieser Mode und schrieben eine Menge Unterhaltungsliteratur in Form von Pseudolegenden, sowohl als Prosa als auch in Versform. Heutzutage sind von diesen hauptsächlich Ovid und Vergil bekannt; ihre Texte überlebten die Jahrhunderte und Antikenforscher ab der Renaissance hielten sie irrtümlich für religiöse Informationen. Aber das waren sie zu keiner Zeit.
Dichter verdienten im antiken Rom ihren Lebensunterhalt damit, dass sie möglichst unterhaltsame Werke auf Gastmälern reicher Bürger gegen Bezahlung vortrugen; hierfür eigneten sich die Vorlagen aus Griechenland besonders gut, zumal sie den Römern rein fiktiv vorkommen mussten.

Phantasievolle Dichtung mit pseudoreligiösem Hintergrund gab es zu allen Zeiten: Von Dantes „Göttlicher Kommödie“ über Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“, Goethes „Faust“ und Wagners „Ring des Nibelungen“ bis zum Film „Das Leben des Brian“. Kein vernünftiger Mensch käme auf die Idee, hieraus Erkenntnisse über die christliche, keltische oder germanische Religion zu ziehen. In Bezug auf die römische Religion wurde dies jedoch jahrhundertelang so gehandhabt.

Erst ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts kann man von einer seriösen historischen Erforschung der römischen Religion sprechen; Religionswissenschaftler wie Georg Wissowa (1859–1931), Kurt Latte (1891–1964,) und Robert J. Muth (1916–2008) fanden heraus, dass die römische Religion einen ganz eigenständigen Charakter hat, der sie von anderen antiken Religionen, insbesondere der griechischen, fundamental unterscheidet.

Und jetzt ist hoffentlich jeder gespannt, wie die römische Religion tatsächlich war . . .
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Re: Die römische Religion

Beitrag von Carmenta »

Die römische Religion - Die Grundhaltung
Für die Römer war RELIGIO das ununterbrochene Gewahrsein der (körperlosen) göttlichen Anwesenheit. Kulthandlungen dienten dazu, den Frieden mit den Göttern (PAX DEORUM) zu sichern und Zeichen (OMINA, Einzahl OMEN) vermittelten den Menschen zu jeder Zeit den Willen der Götter. Gehorsam, wie ein Kind es seinem Vater schuldete, war geboten; PIETAS, die Frömmigkeit, drückte sich in der Befolgung des göttlichen Willens aus. Das Lebensgefühl war bestimmt von den stets allgegenwärtigen Göttern.
So jedenfalls beschreibt es Cicero in seinem Traktat „Vom Wesen der Götter“ (DE NATURA DEORUM). Diese Schrift ist die einzige „religiöse Literatur“ aus der republikanischen Epoche der Römer. Alle späteren Informationen stammen von Kirchenvätern, die die römische Religion nur als negatives Beispiel zitierten, um das Christentum als besonders positiv herauszustreichen; deren Beschreibungen sind also mit Vorsicht zu betrachten.
Ein Hinweis auf den besonderen Charakter der römischen Religion liefert die lateinische Sprache: Der neutrale Ausdruck NUMEN wird als Synonym sowohl für Götter als auch für Göttinnen gebraucht. Ein Geschlecht im menschlichen Sinn scheinen die Gottheiten also nicht gehabt zu haben. Tatsächlich ist bei einigen nicht bekannt, ob sie männlich oder weiblich waren.
In seiner, den wissenschaftlichen Erkenntnissen nachgedichteten, "Phantastischen römischen Mythologie" beschreibt der Münchner Antonio Cuoco anschaulich, wie ein Landmann namens Pasquino unter Anleitung eines göttlichen Numens zum ersten Schäfer wird:
Er setzte sich an den Waldrand und sah über die Wiese hin, die tagsüber leer war. Auf
einmal, fast wie ein Traum, bildete sich vor ihm eine Vision. Schafe, Mutterschafe mit Lämmern,
weideten dort, so weit das Auge blicken kann. Zwei Hunde umkreisten sie. Einzelne
Tiere kamen in seine Richtung, als ob sie etwas von ihm wollten. Alles war ruhig und friedlich.
Dann war die Wiese wieder leer. Der Mann wusste zwar nicht, welches Numen ihm
dies eingegeben hatte, aber er hatte verstanden. Er richtete sich zur Gebetshaltung auf und
rief laut „Danke!“ in die Wildnis.
… sein Tagesablauf wurde nun von seinen Tieren bestimmt: Morgens ging er als erstes
zum Pferch und ließ die Schafe auf die Weide. Abends brachte er sie zurück in die Hürde.
Sein Numen lehrte ihn alles, was er im Umgang mit den Schafen wissen musste.
So wurde er der erste Schäfer und wollte er seinem Numen ein Opfer bringen. Aber war
es jetzt ein Gott oder eine Göttin? Er konnte es nicht erkennen und wusste daher nicht, ob
er ein Böcklein oder Schäfchen opfern sollte.
Schließlich fand er einen Kompromiss: Er wusste, dass bei den wilden Ziegen auch die
weiblichen Zicklein Hörner tragen. Mit der gleichen Technik, mit der er sein erstes Lamm
gefangen hatte, holte er sich ein solches gehörntes Tier. Es war eine weibliche Ziege mit
Hörnern wie ein männlicher Bock. Das wurde das erste Opfer für Faun.
So wurde das Numen mit dem Namen Faunus oder Fauna aktiv bei den Menschen. Niemand
hat je erfahren, ob es männlich oder weiblich ist.
Antonio Cuoco, Phantastische römische Mythologie, S.48f
Zitiert mit Genehmigung des Autors.

Und als nächstes sind dann die Gottheiten dran.
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Re: Die römische Religion

Beitrag von Carmenta »

Einige römische Gottheiten
In der Kaiserzeit wurden im römischen Reich mehr als 400 NUMINA verehrt; diese alle zu beschreiben überstiege den Rahmen dieser Abhandlung bei weitem. Wie viele antiken heidnischen Religionen war der römische Polytheismus ein offenes System: Jede Kraft oder Entität, die behauptete göttlich zu sein, wurde als NUMEN angenommen. Erst ab der Kaiserzeit begann man, fremde Götter durch Doppelnamen (z. B. HERCULES MAGUSANUS) den eigenen zuzuordnen, wahrscheinlich eher aus praktischen Gründen, um die Übersicht zu behalten.

Als Widerschein der multiethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung kamen die verehrten Göttinnen und Götter aus vielen Kulturen. Hier einige Beispiele:
1. Aus vorgeschichtlicher Zeit:
An der ARA MAXIMA (s. Karte mit dem FORUM BOARIUM im 2. Beitrag) wurden gemeinsam verehrt:
  • Mater Matuta, möglicherweise eine altitalische Muttergottheit.
  • Hercules, Gott der Kaufleute, der den Zehnten des Erlöses in Form von Essen (Puls, Getreidebrei) erhielt, das am selben Tag verzehrt werden musste.
Am sogenannten UMBILLICUS (Nabel), symbolischem Eingang zur Unterwelt, wurde
  • Saturn geopfert. Der kapitolinische Hügel soll vor Gründung der Stadt Saturnhügel (MONS SATURNI) geheißen haben.
Das VOLCANAL war die Kultstätte von
  • Volcanus, der im Land der Vulkane als Feuergott seit Urzeiten verehrt wurde.
An einem Sacellum („Kapellchen“) wurde die (möglicherweise etruskische) Quellgöttin
  • Cloakina verehrt; ihre Quelle diente zum Spülen des Hauptabflusskanals, der nach der Göttin CLOACA MAXIMA hieß.
Einer der ältesten Tempel auf dem Forum war derjenige der Göttin
  • Vesta, von der ein sabinischer Ursprung angenommen wird. Das Alter des Kultes zeigt sich auch in der Tatsache, dass es nie ein Kultbild der Göttin gab.
Die traditionellen Kultstätten im Forum Romanum
Die traditionellen Kultstätten im Forum Romanum
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Re: Die römische Religion

Beitrag von Carmenta »

Weiter mit römischen Gottheiten

2. Beispiele für Gottheiten, die von verschiedenen vereinnahmten Völkern stammten:
  • Latiner: Jupiter, Ceres
  • Sabiner: Quirinus, Minerva
  • Etrusker: Iuno, Cloakina
  • Griechen: Apollo, Aesculapius
  • Phönizier: Tanith (Venus Erycina), Penaten
  • Ägypter: Isis
  • Anatolier: Kybele, Jupiter Dolichenus
Sogar der griechische Schriftsteller Dionysios von Halikarnassos bestätigte (und wunderte sich darüber), dass diese Gottheiten an die römische Religionsvorstellung angepasst wurden und die spezifisch römische Nüchternheit nicht veränderten. (Muth S. 237)

3. Abstraktgöttinnen:
Das allgemeine Konzept der Numina als abstrakten Kräften erlaubte es, soziale Funktionen zu Gottheiten zu erheben, alle in weiblicher Form. Gesellschaftlich als positiv angesehene Charaktereigenschaften wurden als Göttinnen verehrt, man schmückte Münzen mit ihrem Bild, legte ihnen Gelübde ab, opferte ihnen und baute ihnen Tempel. Hier einige Beispiele:
  • AEQUITAS (Gleichmaß)
  • CONCORDIA (Einigkeit)
  • FIDES (Treue)
  • HONOS (Ehre)
  • IUVENTAS (Jugend)
  • LIBERTAS (Freiheit)
  • SALUS (Wohlbefinden)
  • SPES (Hoffnung)
  • VIRTUS (Tugend).
Alle römischen Gottheiten wurden als allgegenwärtige Kräfte verstanden. Sie haben keinen "Ort" wie den griechischen Olymp. In ihren Tempeln sind sie zwar präsent, aber auch sonst überall. Sie können jederzeit angerufen werden. Ihre Hilfe besteht in unsichtbarem Schutz und Omina (Zeichen). Es gibt auch Berichte, dass ein angerufener Gott einen Menschen übernahm, der dann "mit göttlicher Stimme" für das gewünschte Ergebnis (Anfeuerung der Truppen) sorgte. Begleitmannschaften von Wagenzügen sollen von Hercules im Angriffsfall Berserkerkräfte verliehen worden sein. Die Gottheit "besetzte" quasi Menschen, um handeln zu können, da sie selbst nicht über einen physischen Körper verfügte.

Als letztes Kapitel folgen noch ein paar Hinweise zur Alltagspraxis.
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