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Die französischen Dienstzeitwinkel und der Fusilier Jean Thurel

Verfasst: So Okt 31, 2021 10:46 am
von Tiziateur
Die Anweisung über die Dienstzeitwinkel (Quelle Dictionnaire de l armee de terre aus dem Jahre 1841)
Die Anweisung über die Dienstzeitwinkel (Quelle Dictionnaire de l armee de terre aus dem Jahre 1841)
Die französischen Dienstzeitwinkel und der Fusilier Jean Thurel

Im Reenactment Hobby wird oftmals viel hin und her diskutiert, wann in der französischen Armee Dienstzeitwinkel und für welche Zeitdekaden von abgeleisteten Dienstzeitjahren verliehen wurden.

Hier habe ich mal ein paar Unterlagen zusammengestellt teilweise von unserem Matthieu von der 18eme Ligne und aus eigenen Quellen und Recherchen, sowie von weiteren Freunden. Das alles habe ich mal als Übersicht zusammengefasst.
Im Vorwege sei gesagt, die Dienstzeitwinkel waren kein militärischer Rang. Sie wurden in der französischen Armee von den Soldaten und Unteroffiziere auf dem linken Oberarm getragen. Das in der Napoleonik bis zu drei Winkel getragen wurden, gilt als belegt. Einige Quellen oder zeitgenössische Darstellungen zeigen oder sprechen auch von vier Dienstzeitwinkeln. Das gilt aber eher als unbelegt. Viele Armeen übernahmen solche Dienstzeitwinkel wie zB die englische Armee wo diese, in anderen Zeitdekaden verliehen, auf dem rechten Unterarm getragen wurden. Diese sind aber hier nicht unser Thema, interessant ist jedoch, das dies übernommen wurde. Wohl um den einzelnen Soldaten zu würdigen.

Die Winkel waren aus roter Tresse, bei Unteroffizieren oftmals mit silberener Tresse, bei der leichten Infanterie, sowohl mit goldener Tresse bei der Linieninfanterie.

Wie gesagt, die Winkel allein waren kein Rang, oftmals jedoch, war für erfahrene Soldaten auch bald oder in dem Zuge eine Beförderung in Sicht. Die Dienstzeitwinkel wurden auch im Soldbuch eingetragen. Ich habe leider keinen greifbaren Beleg im Moment, bin mir aber sicher das damit auch eine höhere Besoldung einherging.

Nun zu den Zeitabständen der Winkel. Die Winkel, in der französischen Armee Chevrons genannt wurden erstmals im Jahre 1771 eingeführt. Der Zeitabschnitt für die Verleihung der Winkel war zu diesem Zeitpunkt je 8 Jahre abgelegte Dienstzeit pro Winkel, maximal gab es dann drei Winkel zu je 8 Jahren, also 24 Jahre. Wer länger im Dienst blieb bekam die Medaille des deux epees in der royalistischen Armee. Diese wurde auf der linken Brustseite der Uniform getragen. Das wurde meines Wissens auch in der Revolution und danach beibehalten. Link zu der Ehrenmedaille Les deux epees:
https://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%A9da ... 9p%C3%A9es

Reformiert wurde das ganze dann im Juli 1802. Ab da galt, das der erste Winkel nach 10 Dienstjahren verliehen wurde und die weiteren dann für je weitere 5 abgeleistete Jahre. Nach 25 Jahren Dienstzeit sollte das Privileg eingeführt werden das man in die Legion d`Honneur aufgenommen wurde. 25 Jahre bedeutete dann 4 Winkel. Genau hier setzt die Frage an.

Wurde die Dienstzeit auch aus der royalistischen Armee weiter gerechnet? Hier habe ich keinen genauen Beleg. Ich selber gehe aber davon aus, weil der Soldat ja die Zeit abgedient hatte. Viele Bilder der alten Garde zeigen ja sogar drei Winkel bereits 1806 bei Jena, wie auch in einem berühmten, uns alle bekannten Bild zu sehen ist.

Warum gab es dann so wenige Soldaten mit drei Winkeln oder gar den unbelegten vier Winkeln? Setzen wir doch einfach mal das Alter der Soldaten an. Mit fühestens 14/15 Jahren konnte die militärische Karriere seinerzeit gestartet werden, als Musiker oder als Auszubildender bei einem Waffenschmied. Waren nun 10 Dienstjahre in der Napoleonik um, so war er 24/25 Jahre, bei zwei Winkeln war er 29/30 Jahre, bei drei Winkeln bereits 35 Jahre, bei 4 Winkeln (so es sie gab) war er 40 Jahre. Im Schnitt zogen die Franzosen aber keine Soldaten über 35 Jahre mehr ein. Also wurden an sich ältere Soldaten, auch meist nur als Unteroffiziere, weiterverpflichtet oder ehrenhaft entlassen. Dieser Zustand wurde 1813/14 etwas aufgeweicht, weil Soldaten fehlten. Auch sollte ein Soldat erst mal diese Dienstzeit in den kriegerischen Jahren überleben. Das sind die Erklärungen, warum mehrere Winkel (also drei oder ggf vier) eher selten waren. 1813/14 wurden aber auch nur körperlich fite Soldaten über 35 Jahren gezogen. In der Armee dienten aber auch noch Soladten über 35 Jahre, jedoch waren diese in der absoluten Minderheit.

Was mir ebenfalls bekannt ist, jedoch habe ich hier keinen historischen Beleg, es sollte wohl auch möglich sein, das bei einer besonderen Schlacht oder einem tapferen, schlachtentscheidenden Verhalten, zusätzliche Dienstzeitjahre anerkannt werden konnten. Aber das war wohl eher ein Einzelfall als die Regel. Wie gesagt, fehlt mir dazu auch ein historischer Beleg.

Am Ende unserer Ausführungen, möchte ich noch den wohl am längsten gedienten Soldaten in der französischen Armee erwähnen. Den Fusiler Jean Thurel.

Jean Thurel wurde am 06.09.1698 in Orain in Frankreich im Departement der Cote d´Or geboren. Er trat am 17.09.1716 mit 18 Jahren in das Infanterieregiment de Touraine ein. Er schied aus dem Dienst am 29.01.1792 im Alter von 93 (!!!!!!) Jahren aus dem aktiven Dienst aus. Er diente in seinem Regiment ohne Unterrechnung über 75 Jahre. Er trug insgesamt drei Medaillen des deux epees auf der linken Brustseite.
Am 26.10.1804 verlieh Napoleon diesem Soldaten den Orden der Ehrenlegion sowie eine Pension von 1.300 Franc jährlich. Jean Thurel wurde später, als der nachweislich älteste Soldat Europas bezeichnet. Er verblieb in guter körperlicher Verfassung und gesund. Dann starb er nach kurzer Krankheit am 10.03.1807 im Alter von 108 Jahren. Er wurde noch als Veteran der 33eme Ligne geführt.

Thurel kämpfte in folgenden Feldzügen:
- Polnischer Erbfolgekrieg
- Österreichischer Erbfolgekrieg
- Siebenjähriger Krieg
- Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg

Link zu Jean Thurel
https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q= ... mTHj_m8mNx

Abschließend sei zu diesem Soldaten noch folgende Geschichte erwähnt:
Das Regiment sollte eine größere Strecke marschieren und Jean Thurel (bereits im 88. Lebensjahr) wurde angeboten das er doch in einem Karren fahren könnte. Dies wies Thurel zurück und sagte das er noch nie in einer Karre gefahren wäre und auch nicht die Absicht hätte dies in Zukunft zu tun. Er marschierte die ganze Strecke mit seinen Kameraden. Er wies auch während seiner Dienstzeit jegliche Beförderung zurück und blieb bis zu seiner Entlassung ein einfacher Soldat.

Re: Die französischen Dienstzeitwinkel und der Fusilier Jean Thurel

Verfasst: Mo Nov 01, 2021 4:23 pm
von Pêcheur
Vielen Dank für Deine Ausarbeitung, Tiziateur! Ja, Du hast recht - die Dienstzeitwinkel werden immer wieder aufs Neue diskutiert im Hobby. Auch und vor allem, ab wann Dienstjahre an-/mitgerechnet wurden. Hier verwirrt sicher zusätzlich, dass die Dienstjahre, die zur Anerkennung eines Winkels zu Grunde liegen, zwischen dem Reglement von 1771 und 1802 wechselten.

Äußerst interessant finde ich den Lebenslauf des Monsieur Jean Thurel. Was für eine Geschichte. Was für ein Haudegen. Ihm zolle ich meinen absoluten Respekt. Man stelle sich vor, was dieser Herr alles berichten könnte.

Re: Die französischen Dienstzeitwinkel und der Fusilier Jean Thurel

Verfasst: Mo Nov 01, 2021 9:06 pm
von Tiziateur
Ja in der Tat sorgt das für ein immer währendes Thema, das wir nun mit Fakten belegt haben.
Was Jean Thurel betrifft, so Zeuge ich Ihm auch höchsten Respekt!
Er ist einer der wenigen, wenn nicht sogar der einzige der drei (!!!!) Jahrhunderte erlebt hat! 1698 geboren 1700 gelebt und 1807 gestorben. Unglaublich! Er verlor drei Brüder in der Schlacht von Fontenoy, sowie auch seinen Sohn im Kampf.

Re: Die französischen Dienstzeitwinkel und der Fusilier Jean Thurel

Verfasst: Sa Nov 27, 2021 10:36 am
von Tiziateur
Ich wollte zu diesem Thema noch ein interessantes Detail hinzufügen.
Ein Hobbyfreund, welcher sich mit dem Regiment Joseph Napoleon, also Spaniern in französischen Diensten befasst, hat mich darauf aufmerksam gemacht.
Es geht hier um die Dienstzeitwinkel in französischen Fremdenregimentern. Es wurde, nach seinen Angaben, nicht die vorherige Dienstzeit bei allen Soldaten anerkannt, sondern nur die Dienstzeit dieser ausländischen Soldaten, wo Sie schon Frankreich gedient hatten. Somit ist es auch zu erklären, warum die Dienstzeitwinkel in Fremdenregimentern zwar vorkamen, aber dadurch höchst selten waren.
Die Quelle W.J Rawkins Foreign Regiments in French Service 1795-1814
Thema Portoguese Legion and Iberian Troupes Etrangere IV aus dem Jahre 2017.
Das ist zu diesem Thema eine wissenswerte Erweiterung, für die ich mich sehr bedanke.

Re: Die französischen Dienstzeitwinkel und der Fusilier Jean Thurel

Verfasst: Sa Nov 27, 2021 5:28 pm
von Pêcheur
Vielen Dank für die Ergänzung! 👍🏻

Re: Die französischen Dienstzeitwinkel und der Fusilier Jean Thurel

Verfasst: So Jan 30, 2022 2:28 pm
von Tiziateur
Mir wurde über einen WhatsApp Chat durch Freunde noch eine weitere Quelle und Angabe zu den Dienstzeitwinkeln gemacht. Diese möchte ich hier gern anfügen.
Es gab wohl doch vier Dienstzeitwinkel, jedenfalls laut Dekree vom 18 Februar 1808!
Nach dem "Grab der Adler bei Eylau" verfügte Napoleon ja, das die Bataillonsadler abgeschafft wurden und nur noch ein Adler im ersten Bataillon des jeweiligen Regimentes geführt werden soll.
Siehe hierzu auch für weitere Angaben: https://www.8eme.de/die-verlorengegange ... 1805-1815/
Die anderen Bataillone bekamen Bataillonsfahnen, siehe hierzu für mehr Angaben auch:
https://www.8eme.de/regimentsgeschichte ... -soldaten/
Nun wurde im Regiment auch die Position des 1. Adlerträgers (Offizier) des 2. Adlerträgers und des dritten Adlerträgers (beides Unteroffiziere) geschaffen, aber eben nur im 1. Bataillon. Diese drei Soldaten gehörten dem Stab an und waren nur zum Schutz des Adlers bestimmt. Es sollten immer altgediente Männer mit Kampferfahrung sein. Diese drei wurden im Kampf noch von den Fourieren der jeweiligen Kompanien unterstützt, welche sich in der jeweiligen Formation hinter diesen dreien aufhalten sollten.
Eben bei genau diesen Unteroffizieren des 2. und 3. Adlerträgers soll laut dem Dekree vom 18.Februar 1808 auf beiden (!!) Oberarmen vier Chevrons zur Kenntlichmachung Ihres Status getragen werden. Diese Winkel sollten aus roter Tresse sein, 30 cm lang und bei der Linie zusätzlich mit goldener Tresse oder bei der leichten Infanterie mit silberner Tresse zusätzlich besetzt sein.
Bardin verweist in seinem Infanterie Manual von 1813 hierzu jedoch auf ein Rundschreiben vom 18. März 1811 wonach die Chevrons des zweiten und dritten Adlerträgers auf zwei, auf beiden Oberarmen zu reduzieren seien. Also gibt es ein Decree das zumindest belegt das es vier Chevrons gegeben haben kann.
Siehe hierzu auch das Buch: Infantry Manual Handbook von Terry Crowdy auf Seite 71.
In der gesamten Armee wäre das natürlich nur eine verschwindend geringe Anzahl an Unteroffizieren mit vier Chevrons. Aber mit den Dekree vom 18.02.1808 zumindest fest belegbar und nicht zu widerlegen. Inwieweit dies in den Truppenalltag einzog ist ebenfalls schwierig zu sagen. Man kann sich jedoch auf den Faktor Mensch verlassen, der als Einzelperson immer etwas besonderes oder auffallendes darstellen möchte. Die Vorschrift war per Decree da und es war etwas sehr besonderes. Daher bin ich mir sicher das es im Truppenalltag Einzug gehalten hat.
Inwieweit das mit Bardin wieder abgeschafft oder eingegrenzt wurde ist fraglich. Mit dem Bardin wurde dann ja auch offiziell für den 2. und 3. Adlerträger der goldene sehr auffällige romanische Helm eingefürt.

Re: Die französischen Dienstzeitwinkel und der Fusilier Jean Thurel

Verfasst: Di Sep 19, 2023 8:01 am
von Majencais
Ich wusste auch das es eine Besonderheit gab mit 4 Winkeln die an eine Funktion gebunden war. Welche wusste ich nicht mehr. Also vielen Dank schon mal dafür. Als die 9eme ihren neuen Adler ich glaube 2014 gab es auch die Diskussion über diese Helme. dabei wurde angeführt das diese niemals richtig eingeführt wurden weil der Bedarf woanders größer war und wohl nur sehr wenige für Adlergruppen ausgeliefert wurden. Bardin ist überigens auch nicht sklavisch bindend zu sehen. Schon gar nicht für das Jahr 1812. Erste Modelle der neuen Uniform erschienen schon 1810 und es gab 3 bekannte Versionen dieser Ausführung. Ebenso gibt es deutliche Unterschiede zu gewissen "vorgeschriebenen" Maßen des Bardinrockes. ich habe mir mal die Mühe gemacht in Zusammenarbeit mit Paul Lindsay Dawson diesen Rock zu tabellisieren. Also Vorgegebene Maße und tatsächliche von den erhaltenen Originalen. Vorgegeben waren zum Beispiel die Breite der Schoßenden mit 180mm. Kein erhaltenes Original hat mehr wie 135mm. Also folgten viele Regimenter immer noch ihren traditionellen Maßen. "Der Bardin" war auch als eine Art Blick in die Zukunft gedacht und viele Dinge sollten erst nach und nach eingeführt werde. So zum Beispiel der Havresac 1812 der nachweislich nicht ausgeliefert wurde. Im September 1815 kam dann auch die Order für einen Leinenhavresac. In dieser Order wird auf das Reglement dazu verwiesen das leider verschollen ist. Man weiß also auch hier nicht ob er jemals existiert hatte und wie er aussah. Für die Belgienkampagne 1815 sind sie allerdings als Ergebnis des Mangels erwähnt. Auch die beliebte Umhängetasche der Offiziere sind ist im 1.empire nie ausgeliefert worden. Offiziere trugen entweder den normalen Tornister oder ließen ihre Sachen tragen bzw. zu einem kleinen Troß geben. Etliche Regimenter übernahmen ebenfalls nicht diese Vorschriften. So ist ein leichtes Infanterieregiment nachweislich mit den Uniformmodell vor Bardin und Bärenfellmützen für die Carabiniers ausgerückt. Ein Linienregiment trug den alten Rock samt Culotte und weißen langen Gamaschen die für die Linie 1792 0der 1793 abgeschafft wurden. Das 13 leichte Regiment trug , wie einige andere übrigens auch, grüne Uniformen mit schwarzem Lederzeug. Wohl eine Änderung der ersten Restauration die an die Tradition dieser Regimenter im Ancient Regime anknüpfen sollte. Unterm strich soll das heissen das Bardin eigentlich nur ein grober Leitfaden war der immerhin in vielen Bereichen tatsächlich umgesetzt wurde.